Nachdem Martin Wolpers selig im August 2015 eine unvergessene Kanutour auf der Aggertalsperre organisiert hatte, keimte im Sommer 2018 der Wunsch nach Wiederholung. Nur zwei erfolglose Versuche später spielten Wetter und Teilnehmer zusammen: Lahn, 21. September 2019.
Die Organisation war nicht schwierig, denn Kanuverleiher gibt es an Lahn und Dill in Massen. Die Eckpfeiler Datum, Transport, Gerät, Kostenumlage und Verpflegung waren schnell eingeschlagen und dank Google-Docs und Threema-Gruppe leicht unter den Teilnehmern zu publizieren. „Läuft.“ heißt das wohl. Auch Detailplanungen wie Countdown und Fahrgemeinschaften oder „Sonderlocken“ sind bei etablierten Informationswegen kein Hexenwerk. Die Lahn ist ein langer ruhiger Fluss, eine fast ausschließlich touristisch genutzte Binnenwasserstraße mit Bootsgassen bei Gießen und Wetzlar, moderaten Stromschnellen und Selbstbedienungsschleusen weiter stromab sowie einem Schifffahrtstunnel in Weilburg. Der musste als Attraktion unbedingt befahren werden, sodass der Abschnitt Leun nach Gräveneck gewählt wurde.
Wegen der wenig flexiblen Bootübergabe klingelte am Samstag mein Wecker um sechs Uhr und es war noch dunkel. Eine Radfahrt zum Bäcker, ein Kaffee, einen Kakao und zwei Croissants später waren die Brötchen geschmiert, die Ortliebs (das sind wasserdichte Stausäcke mit Knebelverschluss der gleichnamigen Firma) gegriffen und in „le bateau“ verstaut. Ein anderer Papi und Tochter stiegen zu und wir brausten die A3 nach Limburg und über schnörkelige Landstraßen nach Gräveneck. Der RMV-Fahrkartenautomat war weniger zickig, als im Usenet kolportiert wird, und gab die gewünschten 5er- Gruppentageskarten und ein Kinder-Einzelfahrschein aus, womit sich die Tarif-Exegese bezahlt gemacht hat. Kurz darauf trafen die übrigen Papis, Töchter und Mami ohne Stau pünktlich und die Bahn nach Fahrplan pünktlich ein – Plan B konnte liegen bleiben. Vereinzelt gab es Stimmen, es sei kühl. Wenn es gegen neun am Tag des Äquinoktiums im Herbst kühl ist, handelt es sich um Organsationsversagen. Die Bahn war geheizt. Sie hatte eine Toilette, die gern genutzt wurde, weniger wegen Geruchs oder Brennens in den Augens, eher wegen Alleinstellung.
In Leun wartete Finn vom Verleiher schon mit den Booten auf dem Anhänger. Er teilte Rettungswesten nach Gewicht, Paddel nach Länge und Staugefäße aus. Eine kurze Einweisung zu Steuern, Stauen, Paddeln später setzten wir an der Mündung des Iserbachs ein. Zuerst der Familienvierer, dann der Zweier mit Alleinreisendem, dann der gemischte Dreier mit „Kielschwein“, der jüngsten, die nicht paddeln muss. Das Organisationsversagen konnte kurzfristig behoben werden, es wurde warm.
Die Lahn mäandert – wir mäandern mehr. Auch wenn abwechselnd rechts und links jemand ein Paddel durch das Wasser zieht, fährt ein Kanadier nicht geradeaus, denn Kraft und Geschick und Taktgefühl unterscheiden sich heftig. Das tat der Laune keinen Abbruch, einigen Zweigen schon.
Auf dem Weg zur ersten Schleuse in Löhnberg ging einigen das Wasser aus. Mit etwas Übung kann man Stromschnellen erkennen und den Pfad darin lesen, aber das war nicht ausreichend gezeigt worden. Dafür wies die typische Ruckelei der Insassen schon auf große Entfernung den folgenden Booten den Weg. Der Kiesbagger leistungshalber geht an den Zweier mit Alleinreisendem für zweimalige Grundberührung, der Kiesbagger ehrenhalber an den Familienvierer für eine Grundberührung (die erste außerdem) und die des Auflaufens Unfähigen gehen leer aus. Die Stauhaltung Löhnberg deutete sich recht bald durch nachlassende Strömung und größere Wassertiefe an.
An der Schleuse Löhnberg war Halbzeit und das Ende des Gießener Beckens erreicht, ab dort wird das Lahntal enger, die Berge zwängen den Fluss zunehmend ein. Wir wurden von anderen Kanuten geschleust, die schon vor uns angelegt hatten. Nach der Talschleusung schoben wir ein Picknick auf der Schleuseninsel ein und sahen Angler, die nichts fingen. Auf dem Weg nach Weilburg wurde der Alleinreisende langsam unruhig, denn eine Verabredung hinderte ihn an der Teilnahme bis zum Ende. Er stieg unmittelbar vor dem Schifffahrtstunnel in Weilburg aus, wo für die anderen die Gaudi begann. Sein Platz wird von einem Mädel aus dem Familienboot übernommen.
Der Tunnel ist nur etwa 200m lang, man sieht beide Enden, aber am talseitigen ist eine Koppelschleuse mit Selbstbedienung. Vor den Obertoren lagen zwei Einerkajaks, deren Insassen natürlich nicht zur Schleusung ausstiegen. Also drängte eins unserer Boote zur Leiter, um die selbstbediente Schleuse zu öffnen.
Alle Lahn-Schleusen sollen mit gefüllter Kammer und geschlossenen Toren und Schützen zurückgelassen werden. Wer an eine Schleuse kommt, muss nur das Obertor öffnen, um einzufahren. Dann werden die oberen Stemmtorflügel geschlossen und im Untertor die Schütze geöffnet, um das Wasser abzulassen. Irgendwann ist der Wasserspiegel in der Kammer dem des Unterwassers gleich, dass man mit den Tummelbäumen die Untertorflügel öffnen kann. Während die Boote ausfahren, kann man die Schütze des Untertors schließen, nach dem letzten Boot das Untertor selbst und danach die Schütze des Obertors öffnen, um die Kammer wieder zu füllen. Bei der Koppelschleuse am Weilburger Tunnel schließt sich unmittelbar an die obere Kammer die untere Kammer an, aber der Ablauf ist gleich.
Während unsere Boote einfuhren, schaute eine der Töchter noch in den Tunnel, ob weitere Boote kämen, denn in der Kammer war Platz und man wartet länger auf einen Schleusengang als auf eine Tunneldurchfahrt. Doch kurz vor unserer Überfahrt in die untere Kammer versuchten ein paar Kerle, die Schütze des Obertors zu öffnen, was den Schleusengang wenigstens verlängert oder gar unmöglich gemacht hätte. Drei Mädels hatten großen Spaß, die Koppelschleuse zu bedienen.
Unterhalb von Weilburg liegt die Lahn in einem engen Tal, sonnig warme Abschnitte wechseln sich mit kühlen im Schatten der Hänge ab. In den Booten macht sich Erschöpfung breit, die Jüngste schläft im Sitzen, den Kopf auf einer Kiste, der einzige Junge schaut in die Landschaft. Es sind also noch ein Familiendreier mit Loch – oft sogar Familienzweier mit Loch und Kielschwein – ein gemischter Dreier und ein Zweier „mit mit Kielschwein“ unterwegs. Doch bevor die Paddelei zur Tortur wird, ist Gräveneck erreicht, wo die Boote ausgesetzt, grob gereinigt und nach telefonischer Ansage des Verleihers mit Ausrüstung kieloben abgelegt wurden. Eine Pizzeria am Campingplatz bot eine sonnige Terrasse, Erholung und leckere Verpflegung, ehe wir alle in den Sonnenuntergang auf der A3 fuhren.
21.09.2019 – PAPI-Kanu
Text: HCA
Bilder: verschiedene